Veröffentlicht von Prof. Dr. Claus Hartmann, Host des Podcasts Energie im Wandel
Meta-Infos
- Titel: 24h-Lieferantenwechsel: Chance für Wettbewerb oder Risiko für Stadtwerke und Kunden?
- Autor: Prof. Dr. Claus Hartmann
- Podcast: Energie im Wandel
- Veröffentlichung: September 2025
- Länge: ca. 2000 Wörter
- Format: Blogartikel & Podcast-Shownotes
Einleitung
Seit dem 6. Juni 2024 gilt in Deutschland eine neue EU-Richtlinie: Der 24-Stunden-Lieferantenwechsel für Stromkunden. Klingt nach einem großen Schritt in Richtung Kundenfreundlichkeit – schneller, flexibler, moderner. Doch ist diese Reform wirklich ein Fortschritt für Verbraucherinnen und Verbraucher? Oder stellt sie Stadtwerke und Energieversorger vor zusätzliche Herausforderungen, die mehr Schaden als Nutzen bringen?
In meiner aktuellen Solo-Folge von Energie im Wandel gehe ich diesen Fragen auf den Grund.
🎧 Hier kannst du die Episode direkt anhören: Zur Podcastfolge
Hintergrund: Was steckt hinter dem 24h-Lieferantenwechsel?
Bislang dauerte es in Deutschland oft Wochen, manchmal sogar Monate, bis ein Wechsel des Stromanbieters abgeschlossen war. Mit der neuen Richtlinie soll nun sichergestellt werden, dass Kundinnen und Kunden innerhalb eines Tages ihren Anbieter wechseln können.
Die Idee dahinter ist klar: Mehr Wettbewerb, mehr Flexibilität, bessere Preise. Doch die Realität ist komplexer – vor allem für Stadtwerke, die sich auf langfristige Kundenbeziehungen und regionale Verankerung stützen.
Wettbewerb – Fluch oder Segen?
Einerseits soll der schnelle Wechsel den Wettbewerb ankurbeln. Plattformen wie Check24 oder Verivox haben jetzt noch bessere Argumente, Kundinnen und Kunden zum regelmäßigen Wechsel zu animieren.
Doch die Kehrseite ist ebenso offensichtlich: Stadtwerke, die auf Beständigkeit und faire Preise setzen, geraten unter Druck.
„Ich muss zugeben, ich bin kein großer Freund von diesen Vergleichsplattformen. […] Die haben ein großes Interesse daran, dass die Kundinnen und Kunden regelmäßig weiter wechseln, weil damit verdienen sie ihr Geld.“
Für Verbraucher mag das kurzfristig attraktiv wirken – langfristig kann es aber zu höheren Prozesskosten, weniger Stabilität und einer stärkeren Abhängigkeit von Bonusmodellen führen.
Die Sicht der Stadtwerke
Stadtwerke sind traditionell stark mit ihrer Region verbunden. Viele investieren ihre Gewinne in soziale Projekte, Infrastruktur oder Kulturförderung. Doch genau diese Werte geraten durch die kurzfristige Wechselfreudigkeit unter Druck.
„Mein Bauchgefühl ist, dass es kein Vorteil für die Stadtwerke ist, weil ja die meisten Stadtwerke Kunden eine sehr hohe Klebrigkeit haben. Sprich die sind einfach lange da, die sind im Idealfall zufrieden.“
Die Gefahr besteht, dass aggressive Marktteilnehmer mit Lockangeboten kurzfristig Kunden gewinnen – die Bindung aber kaum nachhaltig ist. Für Stadtwerke bedeutet das: höhere Kosten, weniger Planungssicherheit und zusätzliche Belastung ihrer ohnehin angespannten IT- und Prozesslandschaften.
Digitalisierung als Schlüssel
Doch die Diskussion geht tiefer. Der 24h-Wechsel ist nicht nur eine Frage von Wettbewerb, sondern auch von Digitalisierung und Prozessoptimierung.
Stadtwerke stehen unter Druck, ihre IT-Systeme so auszubauen, dass Wechsel automatisiert, sicher und in Echtzeit funktionieren. Das bedeutet: Investitionen in Software, Automatisierung und Datenqualität.
Gleichzeitig bietet es auch Chancen: Wer diese Prozesse geschickt nutzt, kann sein Kundenerlebnis verbessern – etwa durch transparente Rechnungen, intuitive Apps oder integrierte Services.
„In dem Augenblick, wo ich das Gefühl habe, okay, das ist so geschmeidig wie Apple, […] dann wird Digitalisierung für den Kunden cool und nicht, dass man innerhalb von 24 Stunden den Anbieter wechseln kann.“
Kundenerlebnis im Mittelpunkt
Hier liegt der entscheidende Hebel für die Zukunft: Nicht der schnellste Wechsel wird Kunden binden, sondern das beste Erlebnis.
Stadtwerke, die ihre digitalen Angebote ausbauen – von übersichtlichen Rechnungen über Apps mit Verbrauchsanalysen bis hin zu integrierten Mobilitäts- oder Freizeitangeboten – können sich klar von der Konkurrenz abheben.
Statt auf kurzfristige Bonusjagd zu setzen, brauchen Kundinnen und Kunden Vertrauen, Stabilität und Mehrwert im Alltag.
Risiken für Verbraucher
Die neue Regelung bringt auch für Kundinnen und Kunden Fallstricke mit sich:
- Keine rückwirkenden Wechsel mehr: Wer zu spät dran ist, fällt automatisch in die Grundversorgung – oft teurer.
- Clearing-Fälle: Wenn ein Wechsel technisch hakt, gibt es bei 24h kaum Zeit zur Klärung. Kunden landen in einer Zwischenlösung, die weder transparent noch günstig ist.
- Komplexität: Wer nicht ständig Preise vergleicht, verpasst schnell vermeintliche Chancen – oder verliert den Überblick über Vertragslaufzeiten.
Damit droht aus der Freiheit des schnellen Wechsels eine Quelle von Unsicherheit und Unzufriedenheit zu werden.
Ein Blick in die Zukunft
Mit der Einführung dynamischer Tarife – künftig sogar im 15-Minuten-Takt – werden sich Stromangebote ohnehin immer stärker angleichen. Damit verliert der schnelle Wechsel an Bedeutung. Entscheidend wird sein, welchen Service und welche Transparenz Anbieter zusätzlich bieten können.
Für Stadtwerke heißt das: Sie müssen ihre Rolle neu definieren – als regionale Partner, digitale Serviceanbieter und Anbieter von ganzheitlichen Lösungen.
Fazit
Der 24-Stunden-Lieferantenwechsel ist ein politisch gewollter Impuls, um den Wettbewerb in der Energiewirtschaft anzukurbeln. Doch ob er wirklich im Sinne von Kundinnen, Kunden und Stadtwerken wirkt, bleibt fraglich.
Die wirklichen Chancen liegen nicht in der Geschwindigkeit des Wechsels, sondern in der Gestaltung eines nahtlosen, vertrauensvollen und digitalen Kundenerlebnisses.
„Viele Kundinnen und Kunden wollen gar nicht ihren Stromanbieter möglichst schnell tauschen, sondern ein geschmeidiges Kundenerlebnis haben.“
Die Zukunft der Energiewirtschaft entscheidet sich also weniger an der Börse oder im Bonusmodell – sondern an der Schnittstelle zwischen Mensch, Digitalisierung und regionaler Verantwortung.
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