Digitalisieren statt diskutieren: Warum die Energiewende ein Umsetzungsproblem ist

Die aktuelle Folge des Podcasts Energie im Wandel führt mitten hinein in eine der zentralen Herausforderungen der Energiewirtschaft: Wie gelingt die Dekarbonisierung des Gebäudebestands, wenn die Rahmenbedingungen komplex, die Sanierungsquote zu niedrig und die gesellschaftliche Akzeptanz für Wandel nicht selbstverständlich ist?

Zu Gast ist Ernesto Garnier, CEO und Gründer der EINHUNDERT Energie GmbH. In einem persönlich geprägten, fachlich dichten Gespräch mit Dr. Claus Hartmann beschreibt er seinen Weg vom Strategieberater bei der Boston Consulting Group hin zum unternehmerischen Vorreiter für Mieterstrom, PV-Anlagen und digitale Gebäudeversorgung.

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Vom akademischen Tiefgang zur praktischen Umsetzung

„Ich habe immer so […] diesen Anspruch, wirklich was ganz fundiert zu verstehen“. Ernesto Garnier ist kein typischer Startup-Gründer. Seine Reise beginnt mit Stationen an der Rotterdam School of Management, der London School of Economics (LSE) und einer Promotion in Energieökonomik an der RWTH Aachen. Besonders bemerkenswert ist sein Drang, Theorie mit Praxis zu verknüpfen. Er wollte den Strommarkt so gut verstehen, dass er ihn selbst modellieren kann.

In seiner Promotion analysierte er, wie Wetterunsicherheiten Strompreise beeinflussen und wie sich Handelsstrategien im Day-Ahead- und Intraday-Markt daraus ableiten lassen. Er promovierte kumulativ und hatte auch relativ hohe Anforderungen.

Beratung war nur der Anfang

Bei BCG betreute Garnier Energieprojekte, doch das reichte ihm nicht. Er hatte einfach irgendwann nicht mehr das Gefühl, wirklich zur Energiewende beizutragen. Trotz guter Karrierechancen entschied er sich, sein eigenes Unternehmen zu gründen. Sein Einkommen sank von sehr viel auf Null und sein Erspartes steckte er zusätzlich in das Unternehmen.

Was ihn antrieb, war die Überzeugung, dass Impact nur durch Umsetzung entsteht. Unterstützt von seiner Familiengeschichte (sein Vater gründete eine Dialysepraxis) war ihm klar, dass er das Vertrauen habe, dass man auch mit Risiko etwas Sinnvolles aufbauen kann.

Mieterstrom als Einstieg in die Elektrifizierung

2017 gründete Garnier die EINHUNDERT Energie GmbH mit der Vision, die treibende Kraft der Elektrifizierung und Dekarbonisierung des Gebäudebestands in Deutschland zu sein. Der Startpunkt: Mieterstrom mit PV-Anlagen und digitaler Messtechnik. Sie bringen PV-Anlagen auf die Dächer, pachten diese und bringen die Messtechnik mit rein.

Heute geht das Modell weiter. Sie betreuen die Mieter und die Stromkunden, sie kaufen Strom ein und handeln damit. Die Kunden sind vor allem kommunale und genossenschaftliche Wohnungsunternehmen mit mehr als 1000 Wohneinheiten. Wenn es keine Eigentümergemeinschaft oder private Vermieter gibt, wird die Einheit nicht betreut.

Komplexität als Marktchance

Was andere abschreckt, nutzt EINHUNDERT als Wettbewerbsvorteil. Auch heute findet sich, laut Ernesto Garnier, noch kein Standard-Abrechnungssystem auf dem Markt. Die Herausforderung: Netzbetreiber, Bilanzkreisverantwortliche, Mieterinnen und Eigentümer zusammenzubringen. Mit über 15 Personen allein im Smart-Metering-Team hat sich EINHUNDERT tiefe Kompetenz aufgebaut.

EINHUNDERT versucht immer, gewisse Prinzipien zu verfolgen und zu standardisieren. Dabei entstehen digitale Prozesse, die auch mit Partnern wie Rhein-Energie oder GETEC genutzt werden. Denn am Ende ist es ein Zusammenspiel von mehreren Akteuren.

Elektrifizierung statt Komplettsanierung

Garnier plädiert für ein Umdenken, denn die CO2-Freiheit kann von der Effizienz entkoppelt werden. Statt jahrelang auf die Sanierung von Gebäudehüllen zu warten, können durch Elektrifizierung kurzfristig große Emissionen eingespart werden.

Das kann die aktuelle Geschwindigkeitsblockade lösen. Die gängige Praxis, alle Maßnahmen in einem großen Wurf zu planen, führe zu Verzögerung und Kostensteigerung. Dann sagen viele stattdessen, dass sie lieber noch mal zehn Jahre die Heizung laufen, so Garnier.

Flexibilität, Batteriespeicher und Strommarktintegration

Der Clou: Mit Batteriespeichern und Smart Metern wird das System intelligent. EINHUNDERT priorisiert den Mieter hinzuzuführen, erklärt Garnier die Stromverteilung innerhalb des Gebäudes. Netzstrom wird gezielt in steuerbare Verbraucher wie Wärmepumpen oder Ladesäulen geleitet, um Kosten zu senken.

Es muss immer in Echtzeit bekannt sein, wo der Strom im Gebäude gerade hinfließt. Zukünftig soll auch Nachtstrom aus dem Netz gezielt in Batteriespeicher fließen, um Haushalte tagsüber mit eigenem Strom zu versorgen. Und im Winter werden die Batteriespeicher genutzt, um günstig Netzstrom zu beziehen.

Wärmepumpe und Speicher: das nächste Level

Noch ist die Anzahl von Gebäuden mit Wärmepumpe im Portfolio von EINHUNDERT gering. Von 3000 Objekten haben sie gerade so 100 bis 120 Wärmepumpenverträge. Doch das soll sich ändern. Ziel ist, zukünftig auch die Heiztechnik mitzubringen. Denn dann sind sie auch in der Position, die Pufferspeicher so auszulegen, dass die Wärmepumpe optimiert betrieben werden kann.

Der Vorteil: Thermische Speicher sind günstiger als Batteriespeicher, bei vergleichbarem Effekt auf die Flexibilität. Das würde nicht nur Emissionen senken, sondern auch Netze entlasten und Systemstabilität verbessern.

Gesellschaftliche Wirkung und unternehmerisches Mindset

Garnier denkt nicht nur in Kilowattstunden, sondern er mag die Vielfalt. Sein Führungsteam ist paritätisch besetzt, das Unternehmen inklusiv aufgestellt. Doch auch hier gilt, dass am Ende das Wichtigste immer die CO2-Ersparnis ist. Das steht über allem anderen.

Was ihn antreibt, ist Verantwortung. Und wenn erst einmal verstanden wurde, wie man sich gut in so eine Firma entwickelt, dann besteht eine höhere Jobsicherheit. Dennoch ging er bewusst den Weg ins unternehmerische Risiko. Denn mit der Bildung und allen Möglichkeiten, was soll eigentlich schon passieren, so Garnier.

Fazit: Transformation braucht Tiefe und Tempo

Diese Podcastfolge mit Ernesto Garnier ist mehr als ein technisches Interview. Sie ist eine Blaupause für praxisnahe Transformation in der Gebäudewirtschaft. Zwischen regulatorischen Hürden, technischer Komplexität und gesellschaftlicher Verantwortung zeigt EINHUNDERT: Es geht.

Ernesto Garnier hofft, dass sie die Vorteile der Elektrifizierung zum Menschen bringen können.

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