Nahwärme aus eigener Kraft: Wie Nissen Biogas die Energiewende im Dorf Realität werden lässt

  • Podcast: Energie im Wandel – Prof. Dr. Claus Hartmann
  • Gast: Sebastian Böhm, Nissen Biogas GmbH & Co. KG
  • Länge: ca. 2000 Wörter Blogbeitrag
  • Veröffentlichung: 2025

Wie Nissen Biogas mit Nahwärme, Windkraft und Wärmespeicher die Energiewende im Dorf vorantreibt – ein Modell für ganz Deutschland.

📑 Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung: Die Wärmewende als Schlüssel der Energiewende

  2. Von der Biogasanlage zum Nahwärmenetz

  3. Technische Umsetzung: Stahl statt Plastik

  4. Preise, Vertrauen und Bürgernähe als Erfolgsfaktoren

  5. Versorgungssicherheit durch die Molkerei

  6. Schritt in die Zukunft: Wärmepumpe und Großspeicher

  7. Politische Unsicherheiten als Treiber

  8. Übertragbarkeit auf andere Kommunen

  9. Was Stadtwerke lernen können

  10. Fazit: Nahwärme als Motor der Wärmewende

 

Die Wärmewende ist einer der entscheidenden Hebel der deutschen Energiewende. Während Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen längst an Fahrt aufgenommen hat, hinkt die Umstellung im Wärmesektor vielerorts hinterher. Doch es gibt inspirierende Beispiele, die zeigen, wie es gelingen kann – lokal, bürgernah und wirtschaftlich.

Ein solches Vorbild ist die Nissen Biogas GmbH & Co. KG im schleswig-holsteinischen Nordhackstedt. Dort betreiben die Gebrüder Nissen und ihr Team um Sebastian Böhm nicht nur eine Biogasanlage und Blockheizkraftwerke, sondern auch ein Nahwärmenetz, das mittlerweile über 120 Haushalte zuverlässig mit erneuerbarer Wärme versorgt.

Im Gespräch mit mir, Prof. Dr. Claus Hartmann, im Podcast Energie im Wandel schildert Sebastian Böhm, wie aus einer Biogasanlage ein ganzheitliches Nahwärmekonzept wurde, welche Rolle Windkraft und Speicher spielen und wie wichtig Vertrauen und faire Preise für den Erfolg waren.

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Von der Biogasanlage zum Nahwärmenetz

Die Geschichte von Nissen Biogas beginnt 2006 mit einer 900-Kilowatt-Biogasanlage. Ergänzt durch zwei Satelliten-Blockheizkraftwerke mit jeweils 400 Kilowatt Leistung und zwei Windkraftanlagen entstand früh ein lokales, dezentrales Energiesystem.

Doch die entscheidende Frage war: Was passiert mit der Wärme?

„Grundsätzlich ist die Idee von Biogasproduktion ja irgendwie die Stromproduktion. Und dann über den Strom Geld verdienen und Wärme ist ja jahrelang so ein Abfallprodukt gewesen“, erklärt Sebastian Böhm.

Anstatt diese Wärme ungenutzt verpuffen zu lassen, bauten die Betreiber ab 2011 ein Nahwärmenetz auf. Heute versorgt es fast den gesamten Ort mit nachhaltiger Energie.


Technische Umsetzung: Stahl statt Plastik

Ein zentrales Element für den Erfolg war die Wahl der Infrastruktur. Statt auf günstigere Kunststoffrohre zu setzen, entschied sich das Team für langlebige Stahlrohre.

„Insofern Stahl ist die klare Priorität, weil die PEX-Rohre auch noch ein, zwei andere… Nachteile will ich nicht sagen. Aber Stahl ist deutlich schöner, mit dem zu arbeiten“, so Böhm.

Das Netz ist in vier Hauptstränge gegliedert, die von der Zentrale ausgehen. So war von Anfang an sichergestellt, dass alle Haushalte angeschlossen werden können – auch wenn dies anfangs höhere Netzverluste bedeutete. Heute liegt der Verlust bei unter 20 Prozent – ein sehr guter Wert für ein ländliches Wärmenetz.


Preise, Vertrauen und Bürgernähe als Erfolgsfaktoren

Die Entscheidung für ein Nahwärmenetz ist für Hausbesitzer oft eine Kostenfrage. Das Team von Nissen Biogas hat deshalb von Beginn an auf faire, transparente Preise gesetzt.

Aktuell zahlen die Kundinnen und Kunden rund 0,08 Euro pro Kilowattstunde brutto – inklusive Grundpreis. Damit ist die Wärmeversorgung nicht nur nachhaltig, sondern auch konkurrenzlos günstig.

Ein weiterer Erfolgsfaktor war die Bürgernähe. Dirk und Bernd Nissen sind im Ort bekannt und genießen Vertrauen. Das half, Skepsis abzubauen und eine Anschlussquote von rund 90 Prozent zu erreichen.


Versorgungssicherheit durch die Molkerei

Ein technisches wie wirtschaftliches Ass ist die Kooperation mit der lokalen Molkerei. Sie nimmt zuverlässig die überschüssige Wärme ab, die im Netz nicht benötigt wird. Dadurch können die Blockheizkraftwerke flexibel betrieben werden, ohne dass wertvolle Energie verloren geht.

„Die Molkerei alles an Wärme aufnimmt, was die Häuser oder die Haushaltskunden nicht verbrauchen. Das heißt, wir können die BHKW fahren, so wie wir sie stromseitig fahren wollen, und alles, was an Wärme über ist, nimmt diese Meierei eben auf“, erklärt Böhm.

So entsteht ein win-win: Die Haushalte haben Priorität, die Molkerei deckt Lastspitzen ab, und die Netzverluste werden minimiert.

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Schritt in die Zukunft: Wärmepumpe und Großspeicher

Das nächste Kapitel in Nordhackstedt wird durch eine Großwärmepumpe und einen 1500 Kubikmeter fassenden Wärmespeicher geprägt sein.

Aktuell puffert ein 40-Kubikmeter-Speicher kurzfristige Schwankungen. Mit dem neuen Speicher sollen künftig auch tägliche Lastverschiebungen möglich werden. Die Wärmepumpe wird anfangs 400 bis 450 Kilowatt thermische Leistung haben – genug, um einen signifikanten Anteil der Wärmeversorgung zu übernehmen.

Ziel ist, schrittweise weniger Biogas einzusetzen und stattdessen Strom aus den eigenen Windkraftanlagen und Photovoltaik für die Wärmepumpe zu nutzen.


Politische Unsicherheiten als Treiber

Ein Grund für diese Transformation sind die Unsicherheiten im Biogasbetrieb. Steigende Pachten, schwankende Düngerpreise und unklare politische Rahmenbedingungen erschweren die langfristige Planung.

„Wir wollen lieber ein System haben, was wir von vorne bis hinten in der eigenen Hand haben, was wir selber hier vor Ort mit Sonne und Wind auf die Beine stellen können“, sagt Böhm entschlossen.

Mit der Kombination aus Wind, Sonne, Wärmepumpe und Speicher wollen die Betreiber ein System schaffen, das planbar, skalierbar und krisenfest ist – und das sich auf andere Gemeinden übertragen lässt.


Übertragbarkeit auf andere Kommunen

Bereits heute unterstützt Nissen Biogas beim Aufbau ähnlicher Netze in Nachbardörfern. Dort zeigt sich: Die Rahmenbedingungen sind schwieriger geworden, insbesondere durch höhere Baukosten. Förderprogramme der BAFA und KfW sind daher entscheidend, um wirtschaftliche Projekte möglich zu machen.

Die Erfolgsfaktoren bleiben jedoch die gleichen: faire Preise, lokale Akteure, bürgernahes Marketing und eine stabile technische Basis.


Was Stadtwerke lernen können

Für viele Stadtwerke, die bisher auf Erdgas gesetzt haben, bietet das Modell wichtige Impulse. Zwar können bestehende Gasnetze nicht für Fernwärme genutzt werden, doch die Erzeugungsstrukturen lassen sich anpassen.

Der entscheidende Punkt ist, dass Endkundinnen und Endkunden vor allem auf eines schauen: den Preis. Nachhaltigkeit ist ein Bonus, aber kein alleiniger Kaufgrund.


Fazit: Nahwärme als Motor der Wärmewende

Die Geschichte von Nissen Biogas zeigt eindrucksvoll, wie Eigeninitiative, Bürgervertrauen und technische Innovation die Wärmewende vor Ort möglich machen. Nordhackstedt ist damit mehr als ein Dorfprojekt – es ist ein Blaupause für andere Regionen.

Am Ende sitzt man ganz hart mit dem Kunden gegenüber und dann soll ein Vertrag unterschrieben werden. Und wenn das einfach teurer ist als Gas und Öl, dann sagen die meisten das ist ja nun mal ein reiner Erfahrungswert. Dann sagen die meisten dann mache ich das eben nicht.“ – ein Satz, der deutlich macht, wie wichtig es ist, nachhaltige Lösungen marktfähig zu gestalten.

Die Vision, die Sebastian Böhm und sein Team verfolgen, reicht weit über Nordhackstedt hinaus: Ein skalierbares Modell, das vielen Gemeinden in Deutschland helfen kann, ihre Wärmeversorgung auf erneuerbare Beine zu stellen.

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