Wasserstoff, Wärme & Wandel: Wie Enertrag die Energiewende ganzheitlich denkt

Podcastfolge aus „Energie im Wandel“ mit Benjamin Grosse, Projektleiter bei ENERTRAG SE

 

Einleitung: Der Wandel braucht Verknüpfung

„Wenn wir unsere Welt behalten wollen, wie sie ist, ist es notwendig, den Klimawandel zu stoppen“, mit diesem eindringlichen Satz habe ich das Gespräch mit Benjamin Grosse eingeleitet. Der Projektleiter bei ENERTRAG SE ist ein echter Praktiker der Energiewende und bringt tiefes Fachwissen, aber auch ein empathisches Verständnis für die gesellschaftlichen Dimensionen dieser Transformation mit. Benjamin ist nicht nur Techniker, sondern auch Vermittler zwischen Theorie und Praxis, zwischen Energie und Gesellschaft.

In einer Zeit, in der öffentliche Debatten oft um Symbolpolitik und ideologische Grabenkämpfe kreisen, bringt diese Podcastfolge Substanz und Realitätssinn in die Diskussion. Es geht um konkrete Lösungen, nicht um Schlagzeilen. Besonders im Fokus: Wie können Strom, Wärme und Mobilität sinnvoll gekoppelt werden? Wie lässt sich Wasserstoff wirtschaftlich und ökologisch in bestehende Systeme integrieren? Und wie gelingt all das, ohne dabei die soziale Gerechtigkeit aus dem Blick zu verlieren? Der Wandel ist nicht nur eine technische Herausforderung, sondern vor allem eine Frage der Machbarkeit im Alltag der Menschen.

1. Der Weg zur Energietechnik: Von Flensburg nach Berlin

Benjamin Grosse hat Energie- und Umweltmanagement an der Hochschule Flensburg studiert und anschließend Wirtschaftsingenieurwesen mit Schwerpunkt Energie und Ressourcenmanagement an der TU Berlin vertieft. Dass er diesen Weg einschlug, hatte einen sehr pragmatischen Ursprung, denn er hatte immer schon Spaß an wirtschaftlichen Themen und an Energie und Physik. Es ist diese Schnittmenge aus Technik und Ökonomie, die ihn fasziniert und bis heute antreibt.

Seine Studienwahl fiel in eine Zeit, in der es kaum spezialisierte Studiengänge für Erneuerbare Energien gab. Flensburg bot damals ein innovatives Konzept, das früh die Verbindung von Energie, Umwelt und Management gedacht hat.

„Und damals gab es tatsächlich, als ich das studiert habe, 2008, nicht so viele Angebote. Also da war Flensburg schon sehr weit vorne, muss man ganz klar sagen“

Auch die persönliche Komponente spielte eine Rolle. Benjamin beschreibt, wie ihm Olaf Meyer, damals Koordinator des Studiengangs, durch ein persönliches Gespräch die letzten Zweifel nahm:

„[…] hat sich dann tatsächlich auch nochmal zehn Minuten Zeit genommen und mir kurz erklärt, warum er das Studium sinnvoll findet und man da mitmachen soll und hat mich dann sofort überzeugt.“

2. Die Praxis der Sektorenkopplung: Strom, Wärme, Wasserstoff

ENERTRAG verfolgt einen systemischen Ansatz, der über die reine Stromerzeugung hinausgeht. Das Unternehmen will nicht nur erneuerbare Energien einspeisen, sondern diese auch intelligent verknüpfen und weiterverwerten. Dazu gehören Projekte im Bereich Wasserstoffproduktion, Nutzung von Abwärme und Integration in Fernwärmesysteme. Diese Sektorenkopplung ist entscheidend, um aus Einzellösungen ein stimmiges Gesamtsystem zu machen.

Sie versuchen, Erzeugung und Nachfrage sinnvoll zu koppeln, sodass aus der reinen Stromerzeugung echte Verbundkraftwerke entstehen. Das bedeutet konkret: Wo Strom erzeugt wird, soll auch direkt vor Ort Wasserstoff produziert oder Wärme genutzt werden. Die Elektrolyse ist dabei kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, um Überschussstrom sinnvoll zu nutzen und damit saisonale oder tageszeitliche Schwankungen auszugleichen.

Interessant ist dabei, dass die Anlagen bewusst nicht auf maximale Auslastung gefahren werden. Sie planen nicht mit 8.000 Vollbenutzungsstunden, sondern kommen in einer guten Region je nach Portfolio auf 4.000 bis 5.000 Stunden. Flexibilität statt Dauerbetrieb: Das ist die Devise.

Diese pragmatische Planung spiegelt sich auch in der Standortwahl wider. ENERTRAG setzt auf Industriegebiete, die bereits über Anschlusskapazitäten verfügen, sowie auf bestehende Infrastruktur. Gleichzeitig ist das Ziel, den Energiefluss regional zu halten, um Netzbelastungen zu vermeiden.

3. Soziale Fairness in der Energiewende

Ein zentrales Thema der Folge ist die Frage, wie sich die Energiewende sozial gerecht gestalten lässt. Benjamin formuliert einen Punkt, der oft vernachlässigt wird:

„[…] wir werden die Energiewende nicht hinbekommen, wenn wir sie nicht günstig hinkriegen“

Das bedeutet nicht, dass erneuerbare Energien teuer sind – im Gegenteil. Die Stromgestehungskosten sind heute günstiger denn je. Doch die Herausforderung liegt im Anfangsinvest: Wärmepumpen, Speicher oder Elektrolyseure sind kapitalintensiv. Auf die lange Zeit, die eine Heizung in einem Haus steht, rechnet sich das. Aber eine Durchschnittsperson oder jemand mit einem kleinen Geldbeutel kann sich das nicht einfach leisten.

Benjamin fordert daher einen klaren politischen Fokus auf finanzielle Zugänglichkeit:

Wo man auch immer sagen muss, das sollte man ansprechen, das sollte man thematisieren, das darf man auch bitte immer wieder Politiker und Politikerinnen sagen: Leute, denkt dran, nur weil irgendwer ausgerechnet hat, die Strom Gestehungskosten sind gering, heißt das nicht ich muss am Anfang nicht ein Haufen Geld in die Hand nehmen.

4. Windstrom-Tarife und Netzentgelte: Lokale Wertschöpfung denken

Ein weiteres wichtiges Thema sind faire Strompreise für Anwohner*innen. ENERTRAG arbeitet mit Stadtwerken zusammen, um sogenannte Windstrom-Tarife anzubieten, bei denen Menschen in der Region vom erzeugten Strom profitieren können

Dass die Leute, die irgendwie eine Windkraftanlage vor der Tür haben, sage ich mal, auch den Strom aus der Windkraftanlage zu einem absolut fairen Preis kriegen können. Das ist wichtig.

Das ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch der Akzeptanz. Wer Windräder sieht, will auch deren Nutzen spüren.

Gleichzeitig kritisiert Benjamin die bestehende Netzentgeltstruktur. Denn die effektiven Börsenpreise sind im einstelligen Centbereich. Was richtig teuer ist, sind laut Benjamin die Netzentgelte. Zwar gibt es erste Reformen, die regional belastete Netze entlasten sollen, doch es bleibt ein großer Hebel für faire Strompreise.

5. Finanzierung als zentrale Hürde

Ohne Kapital keine Energiewende. Diese einfache Wahrheit zieht sich wie ein roter Faden durch das Gespräch. Neue Technologien wie Wasserstoff oder Batteriespeicher haben zwar langfristig Potenzial, sind aber aktuell noch schwer zu finanzieren.

Denn wenn ein neues Geschäftsmodell in den Markt gedrückt werden soll, dann ist das Risiko hoch, die Rentabilität aber nicht sofort gegeben. Banken zögern, weil Erfahrungswerte fehlen. Politische Programme wie H2Global oder Förderauktionen sind ein erster Schritt, aber noch kein Durchbruch.

Hier sind Pilotprojekte wichtig, ebenso wie eine langfristige Perspektive. Laut Benjamin braucht es Leute, die bereit sind zu lernen – nicht nur Technik, sondern auch Finanzierung.

6. Der Blick auf die Kommunen: Wärmewende lokal denken

Kommunen spielen eine zentrale Rolle in der Energiewende, gerade im Bereich der Wärmeversorgung. Doch ihnen fehlt oft das Kapital und das Know-how. Die meisten Stadtwerke haben kaum Kapital, weil sie über Jahre hinweg Kindergärten und Infrastruktur querfinanziert haben.

Benjamin plädiert für eine stärkere Kooperation zwischen Gemeinden und Energieunternehmen. Denn wenn Gemeinden schon mit Genehmigungsbehörden sprechen, stellt das einen Riesenvorteil für die Projektplanung dar.

7. Zukunftsperspektiven: Batteriespeicher, Derivate und Reservekraftwerke

Was kommt als Nächstes? Laut Benjamin wird ENERTRAG verstärkt in Batteriespeicher investieren. Denn wenn Verbundkraftwerke entstehen sollen, dann braucht es neben Erneuerbaren eben auch Batteriespeicher und Wasserstoffspeicher.

Auch synthetische Kraftstoffe wie Methanol oder Ammoniak werden an Bedeutung gewinnen. Diese können leichter transportiert werden als Wasserstoff und haben etablierte Infrastruktur:

„Dafür gibt es Vorschriften. Das ist auch wichtig, dürfen wir nicht vergessen. Wir freuen uns mal, wenn wir tatsächlich Vorschriften haben, an die wir uns halten können“

8. Ein Plädoyer zum Schluss: Bildung und Begeisterung fördern

Zum Ende des Interviews richtet Benjamin einen Appell an die Zuhörer*innen:

„Ich glaube, die Energiewirtschaft ist immer noch ein richtig spannendes Thema“

Es brauche mehr technisches Verständnis in der Bevölkerung, um mitreden und mitgestalten zu können. Denn es ist diese Kombination aus Aufklärung, Beteiligung und Inspiration, die den Wandel beschleunigen kann.

Fazit: Ganzheitlich denken, lokal handeln, systemisch umsetzen

Diese Podcastfolge liefert keine schnellen Antworten, sondern differenzierte Perspektiven. Benjamin Grosse zeigt, dass die Energiewende keine rein technische, sondern vor allem eine gesellschaftliche Herausforderung ist.

Er macht Mut – nicht, weil alles einfach ist, sondern weil es machbar ist, wenn man den Wandel ganzheitlich denkt und mit Herz, Verstand und Pragmatismus angeht.

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