Wir brauchen einen globalen Öko-Humanismus

Die technischen Vorraussetzungen für mehr Klimaschutz sind weltweit längst gegeben. Was fehlt ist die Bereitschaft der Menschen, diese auch endlich einzusetzen.

Um den Klimaschutz voranzutreiben brauchen wir Menschen, die ins Tun kommen. Es geht weniger darum neue Technologien zu entwickeln – diese sind bereits vorhanden. Wir müssen vor allem verstehen, dass nicht der Mensch im Mittelpunkt steht, sondern das gesamte Leben auf der Erde.

Darüber habe ich mit meinem Podcast-Gast Dr. Franz Alt gesprochen. Er ist Fernsehjournalist, Buchautor und seit Jahrzehnten nicht mehr aus dem Klimaschutz wegzudenken. Sein größtes Ziel ist es beim Lösen unserer Probleme mitzuhelfen – solange er lebt.

Welche Probleme er damit meint, besprechen wir in unserem Interview. Er sieht die größte Problematik in der Mentalität der Menschen. Wir haben unendlich viel erneuerbare Energie, aber nicht unendlich viel Zeit. Und die Zeit läuft uns langsam aber sicher davon.

Es ist noch viel Luft nach oben

Deutschland verwendet momentan zu 42% Ökostrom und wird zu rund 20% mit erneuerbaren Energien in allen Bereichen inkl. Strom, Wärme, Landwirtschaft, etc. versorgt. Franz Alt sagt, dass Deutschland rasch auf die 100%-ige Versorgung durch erneuerbare Energien umsteigen muss. Wir kennen bereits die Lösungen und zahlreiche Beispiele zeigen, dass es funktioniert.

Die Stadtwerke München sind innerhalb von knapp 10 Jahren von 5% auf 95% Ökostrom umgestiegen. In Hunsrück in Rheinland-Pfalz und auch Ostfriesland wird inzwischen mehr Ökostrom produziert als die Menschen vor Ort verbrauchen. Länder wie Costa Rica oder Island sind bereits zu 100% erneuerbar. Diese Bespiele zeigen, dass die Energiewende mit den aktuellen Gegebenheiten definitiv machbar ist und sich jedes Land unabhängig machen kann.

Aber wir stehen momentan noch vor einigen Hindernissen. Der Einfluss der großen Industriekonzerne auf die Regierung ist nach wie vor sehr groß. Franz Alt ist daher der Meinung, dass über der Demokratie der Lobbyismus steht. Unsere Abhängigkeit von alten Ressourcen und alten Denkweisen hält uns von der Weiterentwicklung zurück.

Es ist kein technisches, sondern ein mentales Problem

Je mehr Menschen von sich aus umdenken, desto eher wird sich die Politik auch danach richten müssen, meint Franz Alt. So war es auch bei Alt-Kanzlerin Angela Merkel, mit der er persönlich über Atomenergie gesprochen hat. 2011 hat sie den Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen, nur wenige Wochen nachdem sie zunächst die Laufzeit der Atomkraftwerke verlängert hat. Das zeigt, dass vor allem die Lernfähigkeit der Menschen in politischen Positionen eine wichtige Rolle in der Energiewende spielt.

In Äthiopien hat 2019 eine politische Aktion ebenfalls für ein positives Beispiel in Sachen Klimaschutz und Mindset gesorgt. Ministerpräsident Abiy Ahmed hat dazu aufgerufen, dass jeder Einwohner an einem bestimmten Tag zehn Bäume pflanzen solle. Nach zwölf Stunden wurden somit über 350 Millionen Bäume gepflanzt und nebenbei sogar ein Weltrekord aufgestellt.

Neben der Energiewende brauchen wir auch eine Verkehrs-, Wärme- und Landwirtschaftswende, meint Franz Alt. Das sind die drei wichtigsten Bereiche neben der Energiepolitik. Eine Wasser- und Waldwende wäre ebenso notwendig.

Die Aufforstung ist eine wesentliche Hilfe bei der Stabilisierung des Klimas

Das ist eine der potenziellen Schlagzeilen, die Franz Alt zukünftig in der Zeitung gern lesen würde. Die Klimastabilität und -neutralität dürfen erste Ziele sein. Das langfristige und finale Ziel sollte aber die Klimapositivität sein. Dafür müssen wir sowohl in der Natur, z.B. durch die Aufforstung der Wälder, also auch bei der Technik mit erneuerbaren Energien deutlich Tempo aufnehmen und auch neue Möglichkeiten ausschöpfen.

Nicht außer Acht zu lassen sind auch die zur Verfügung stehenden Flächen in Deutschland. Knapp 50% der Bundesrepublik wird für Landwirtschaft verwendet. Hier gibt es durchaus Potenzial für eine doppelte Landwirtschaft, d.h. am Boden werden Lebensmittel angebaut und darüber wird beispielsweise eine Photovoltaik-Anlage installiert. Apropos Photovoltaik: 90% der Dächer in Deutschland stehen immer noch leer.

Sonne und Wind sind unsere wichtigsten Energiequellen, die wir noch nicht effizient genug ausnutzen. Viele Möglichkeiten sind nicht nur gut für Umwelt und das Klima, sondern auf lange Sicht auch für unseren Geldbeutel, z.B. durch Investitionen in gewinnbringende Öko-Anlagen.

Wir müssen 2035 klimaneutral sein, nicht erst 2045

Klimaschutz ist schon sehr lange ein Thema für Diskussionen. Die entscheidenden Handlungen fehlen bisher noch. Wir müssen in diesem Jahrzehnt nachholen, was wir im letzten Jahrzehnt verpasst haben, meint Franz Alt. Und deshalb reicht es nicht aus erst 2045 klimaneutral zu sein. Unser Ziel sollten wir schon 2035 erreicht haben.

Das schulden wir nicht nur dem Klima, sondern wir tragen auch eine Verantwortung für die nachfolgenden Generationen. Ethik und Technik müssen zusammen kommen, damit wir die Kurve noch rechtzeitig kriegen können.